„Zwei oder drei Vietnams“

Kuba, Guinea-Bissau und die portugiesische Nelkenrevolution
Von Wolfgang Mix
Amílcar Cabral mit Fidel Castro auf der Konferenz der Trikontinentale in Havanna 1966
Foto: public domain


Im Dezember 1964 trat Ernesto Che Guevara eine dreimonatige Reise durch Afrika an, um mit Repräsentanten antikolonialer Befreiungsbewegungen Kontakt aufzunehmen und auszuloten, wie Kuba diese unterstützen könne. Am 12. Januar 1965 traf er in Guinea erstmals mit Amí lcar Cabral zusammen. Dieser hatte als Führer der „Afrikanischen Partei für die Unabhängigkeit von Guinea-Bissau und den Kapverden“ (PAIGC) zwei Jahre zuvor einen Guerillakrieg gegen die portugiesische Kolonialherrschaft in dem kleinen westafrikanischen Land begonnen. Nach zwei Jahren kontrollierte seine Bewegung bereits ein Drittel des Landes und stellte die 20.000 Mann starke portugiesische Besatzungsarmee vor ernste Probleme. Portugal unter der faschistoiden Caetano-Diktatur hielt länger an seinen afrikanischen Kolonien fest als die anderen europäischen Kolonialmächte. Es sollte ein Jahrzehnt vergehen, bis diese Herrschaft zusammenbrach, die Diktatur in den Abgrund stürzte und die Kolonien unabhängig wurden.

Es war nicht zuletzt der Unabhängigkeitskampf der Kolonisierten, der die potugiesische Armee zermürbte und damit die Fundamente der Diktatur erodieren ließ. Der Anteil Kubas an Portugals „Nelkenrevolution“ war nie Gegenstand großer Aufmerksamkeit oder er wurde heruntergespielt. Doch die Afrikaner wussten um den Wert der kubanischen Unterstützung und diese wurde zur Grundlage für eine bis heute andauernde tiefe und freundschaftliche Verbundenheit.

Amí lcar Cabral war eine allseits respektierte Persönlichkeit. Er hatte einen scharfen Blick für die Probleme Afrikas und schaff te es, die verschiedenen Volksgruppen seines Landes zu vereinen. Ein Jahr nach dem Treffen mit Che reiste er mit einer Delegation der PAIGC zur Trikontinentale, der Konferenz der um ihre Befreiung kämpfenden Völker vom 3. bis 16. Januar in Havanna. Er hinterließ dort mit seinen Analysen einen tiefen Eindruck und diskutierte viele Stunden mit Fidel Castro. Dieser lud ihn und seinen Halbbruder Luís Cabral auf eine dreitägige Rundfahrt durch das Ecambray-Gebirge ein und chauffierte seine Gäste die meiste Zeit selbst in einem Jeep. Fidel lernte über die Probleme des afrikanischen Befreiungskampfes und ging mit seinen Hilfsangeboten weit über das hinaus, was Amí lcar erbat. Luís Cabral berichtete: „Wenn Amí lcar über unseren Bedarf an Artillerie sprach, verstand Fidel, dass wir auch Ausbilder brauchten. Sprach Amí lcar über das Leben in den befreiten Gebieten, bot uns Kubas Führer die benötigten Ärzte an. Und er verstand, dass unsere Truppen, um effektiver zu werden, besseren Transport benötigten:

Fundação Amílcar Cabral, Praia, Kap Verde
Foto: Balou46 / wikipedia / CC BY-SA 4.0




Kuba würde uns beides senden, die Fahrzeuge und die Männer, um unsere Kämpfer in Gebrauch und Wartung zu unterrichten.“

Kuba war das einzige Land, von dem Cabral militärisches Personal erbat. Die versprochene Hilfe traf bald ein. Doch sie war begrenzt: Selten waren mehr als 50 bis 60 Kubaner im Land und dennoch war ihre Arbeit von größter Bedeutung. Die Batteriechefs der Artilleriebrigaden, welche die Zielkoordinaten berechneten, waren und blieben bis zum Ende des Krieges fast ausnahmslos kubanische Spezialisten. Ein Kommandant der PAIGC beschrieb die Kubaner als mutig. „Sie ertrugen alles, sie aßen dasselbe wie wir, wir machten alles gemeinsam.“ Ein anderer sagte: „Kuba stellte keine Forderungen, gab uns bedingungslose Unterstützung.“ Und die Kubaner unterstellten sich in beratender Funktion der Führung Cabrals. Victor Dreke, der mit Che Guevara im Kongo gekämpft hatte, übernahm im November 1966 die Leitung des Kontingents. Er erinnerte sich später: „Wir hätten eine aggressivere Strategie bevorzugt, doch wir passten uns an. Es war ihr Land und ihr Krieg. Ich machte Amilcar Vorschläge; er hörte zu, ohne ja oder nein zu sagen und würde dann seine eigene Entscheidung treffen; manchmal folgte er meinem Rat, manchmal nicht.“

Die kubanischen Ärzte, die kamen, füllten eine große Lücke, denn einheimische Ärzte gab es bis 1968 überhaupt keine. „Die kubanischen Ärzte und Pfleger erfüllten alle unsere Hoffnungen“, schrieb Luís Cabral. Sie arbeiteten unter schwierigsten Bedingungen. Es gab kaum Verpflegung, so dass Kuba auch noch Lebensmittel lieferte. Alle kubanischen Internationalisten waren Freiwillige und viele von ihnen hatten schon früher ihr Interesse an einem Auslandseinsatz geäußert. „In all jenen Jahren glaubten wir, dass die USA uns jederzeit angreifen könnten. Für uns schien es besser, diesen Kampf anderswo zu führen als im eigenen Land. Dies war die Strategie der „zwei oder drei Vietnams“, die Kräfte des Feindes abzulenken und zu teilen. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, jetzt hier in einem Wohnzimmer in Havanna zu sitzen und darüber zu sprechen – wir glaubten alle, dass wir jung sterben würden“, erinnerte sich ein Teilnehmer. Insgesamt fielen neun Kubaner in den zehn Jahren bis 1974. Der Offizier Pedro Rodríguez Peralta geriet 1969 in Gefangenschaft und verbrachte die Jahre bis zur Befreiung durch die Nelkenrevolution in einen Gefängnis in Portugal.

In den frühen 70er Jahren überschlugen sich die Ereignisse. Bereits 1972 organisierte die PAIGC in den von ihr kontrollierten Gebieten Wahlen für eine Nationalversammlung. Am 20. Januar 1973 wurde Amílcar Cabral von unzufriedenen Mitgliedern seiner Bewegung ermordet, unter Beteiligung der portugiesischen Geheimpolizei. Doch sein Tod konnte die gut organisierte Bewegung nicht stoppen, die zu jener Zeit schon zwei Drittel des Landes befreit hatte. Die Generalversammlung der UN erkannte Guinea-Bissau Ende des Jahres de facto als unabhängig an. Im April 1974 stürzten kriegsmüde radikale Militärs die Diktatur in Portugal. Ihre Nelkenrevolution, so genannt wegen den in vielen Gewehrläufen steckenden roten Blüten, brachte letztendlich die Unabhängigkeit für Guinea-Bissau, Angola und Mosambik.

Die Protagonisten der portugiesischen Revolution stürzten die Diktatur, konnten aber das wirtschaftliche System nicht überwinden. Für Kuba war Guinea- Bissau erst der Anfang: Es folgten 14 Jahre Krieg an der Seite des angolanischen Volkes gegen das vom Imperialismus unterstützte südafrikanische Rassisten-Regime, welcher zu einem Sargnagel für dessen Apartheit wurde.