Kubanerin promoviert in Berlin

Ein Interview mit der kubanischen Bildungshistorikerin Dayana Murguia, die im März 2024 an der Humboldt-Universität zu Berlin ihren Doktortitel in Erziehungswissenschaften erlangte.

Cuba Libre: Dayana, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum erlangten Doktortitel. Was waren die wichtigsten Ergebnisse Deiner Arbeit?

Dayana Murguia: In meiner Dissertation untersuchte ich die Geschichte eines internationalistisches Stipendienprogramms in Form einer Bildungshilfe mit einzigartigen Dimensionen – einzigartig in Bezug auf Organisation, Umfang, Bildungsangebote und Teilnehmer. Dieses Programm wurde zwischen 1977 und 2012 auf der kubanischen Isla de la Juventud („Jugendinsel“) entwickelt. In der Arbeit stelle ich eine Reihe von neuen Ansätzen und Quellen vor. Zunächst wird anhand der Einrichtung und Entwicklung dieses Programms Kubas Rolle in der sogenannten Dritten Welt im Kontext der historischen Bewegung der Kooperation zwischen den Staaten des globalen Südens erklärt. Dazu gehört auch Kubas Vorstellung von Entwicklungshilfe im Sinne der Entwicklung einer Autarkie auf Seiten der Unterstützten. In Anlehnung an die Studien über Altruismus von Daniel Batson (2011) und Marco Giugni (2001) betrachte ich die Solidarität nicht nur als ein ursprünglich subjektives Motiv Kubas, sondern argumentiere, dass sie auch die Art der Beziehungen prägte, die während der Leistung von Bildungshilfe vor Ort aufgebaut wurden. Das zeigte sich vor allem in den kubanischen Interventionen und in der Mitverantwortung und aktiven Zusammenarbeit der ausländischen Partner. Die Bedeutung der Solidarität wird auch im letztendlichen Ergebnis der Hilfeleistungen deutlich, vor allem bei der Rückkehr der Absolventen in ihre Herkunftsländer und der Anwendung und der Übertragung der in Kuba erworbenen Kenntnisse auf die Verhältnisse vor Ort. Diese Ergebnisse konnte ich durch eine Fallstudie in Mosambik und eine globale Umfrage stützen. Die Schlussfolgerung, die sich wie ein roter Faden durch die zahlreichen Themen der Arbeit zieht, ist die Solidarität als Motivation Kubas für die Organisation dieses Programms entsprechend den Bedürfnissen und Interessen der neuen Staaten und Organisationen, die in den 1970er und 1980er Jahren aus der Entkolonialisierung hervorgegangen sind.

Cuba Libre: Welche Bedeutung hat der Internationalismus derzeit für Kuba?

Dayana Murguia: Es gibt Arbeiten zu diesem Thema, wenn auch erstaunlich wenig innerhalb Kubas. In Bezug auf meine Forschung beobachte ich eine Kontinuität. Die Hilfe hat nicht aufgehört, Hilfe zu sein und erfüllt weiterhin ihr Ziel. Das zeigt sich auch in Varianten, die einen anderen Ansatz verfolgen als das damalige Programm auf der Isla de la Juventud. So wurden beispielsweise Kooperationsvereinbarungen getroffen, um gegenseitige Vorteile, Austausch oder beidseitige Entwicklung zu erreichen. Im Allgemeinen geschieht das mit Ländern, die in der Lage sind, Entwicklungssektoren in Kuba zu unterstützen, im Gegenzug für die kubanische Unterstützung im Hinblick auf unterentwickelte Fähigkeiten der Partnerländer. Wichtig ist, dass das derzeitige kubanische Internationalismusmodell keine Bedingungen für die Einrichtung von Hilfs- und Kooperationsprogrammen stellt.

Cuba Libre: Was hat Dich dazu bewogen, in Deutschland zu promovieren?

Dayana Murguia: Ich bin als junge Forscherin im Team für Bildungsgeschichte und Kulturpolitik am kubanischen Geschichtsinstitut Instituto de Historia de Cuba in Havanna nach Berlin gekommen und kehre auch als solche wieder auf die Insel zurück. Das DAAD-Stipendium, welches ich dabei erhalten habe, war für die Qualität meiner Forschungsergebnisse unersetzlich. Ich habe von einem engen Kontakt mit anderen akademischen Kulturen und von Reisen in Drittländer profitiert, die für meine Arbeit unerlässlich waren. Außerdem konnte ich ohne die in Kuba üblichen materiellen Hindernisse arbeiten, weil Deutschland die Knappheit seiner Ressourcen durch den asymmetrischen Austausch im internationalen Wirtschaftssystem kompensiert und die Zwangsgewalt der Vereinigten Staaten ihm keine Probleme bereitet.

Cuba Libre: Mit welchen persönlichen Zielen kehrst Du jetzt nach Kuba zurück?

Dayana Murguia: Ich kehre mit dem Ziel nach Kuba zurück, meine berufliche Tätigkeit fortzusetzen und mit der Freude, die gemachten Erfahrungen teilen zu können, die ich in einem Land des europäischen Kapitalismus gemacht habe. Ich glaube, Kuba befindet sich in einer Auseinandersetzung um sein sozialistisches Projekt. Die Widersprüche in der kollektiven Führung der Regierung und in der Gesellschaft sind nicht verschwunden, einige sind sogar deutlicher spürbar als früher. Die Schikanen von außen, insbesondere die USBlockade, sind darauf ausgerichtet, diese Widersprüche noch zu verschärfen. Die Tatsache, dass das Geflecht der durch die Revolution geschaffenen Institutionen und die Verteilung des kargen Reichtums in Kuba dem Volk gehört, ist für uns eine Chance. Das ist ein enormer Vorteil für die heutigen Generationen, die die Radikalisierung des Sozialismus in Kuba verteidigen.

Cuba Libre: Zum Abschluss: Welche Eindrücke nimmst Du von Deinem Leben in Deutschland mit nach Kuba?

Die Eindrücke sind gemischt. Es gibt persönliche Bindungen der Zuneigung, eine neue Familie, die ich von nun an in meinem Leben behalten möchte. Aber der konsumistische Fieberwahn der kapitalistischen Gesellschaft, deren Energieverschwendung lautstark von ihrer Irrationalität zeugt, ist weit davon entfernt, als ein Modell der „Entwicklung“ zu gelten, dem nachzueifern sich lohnen würde.

Cuba Libre: Dayana, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Dich und für Kuba.

Das Gespräch führte Tobias Kriele