Jorgitos Log
Die Traurige Geschichte einer gekaperten Freiheit

Von Jorge Enrique Jerez Belisario

In diesen Tagen kommt ein Begriff in Mode und wird für politische Zwecke instrumentalisiert, der, wie so viele andere, von der Sozialdemokratie und  – schlimmer noch – von den kapitalistischen und imperialistischen Eliten gekapert wurde. Die Rede von der Pressefreiheit ist nur noch eine rhetorische Floskel. Diese Freiheit steht in engem Zusammenhang mit zwei anderen Freiheiten, der freien Meinung und der freien Meinungsäußerung, die von den Besitzern des Geldes gerne verteidigt werden, die aber nichts weiter als Worthülsen sind.

Nach Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat jeder Mensch das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt ein, dass niemand für seine Meinung verfolgt werden darf, ebenso wenig dafür, Informationen und Meinungen über Medien jeder Art zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Als Teil dieser Manipulation und in einem eklatanten Akt der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Kubas veröffentlichte die deutsche Botschaft in Havanna dieses Jahr diesen Post: „Heute ist Tag der Pressefreiheit. Davon ist hier nicht viel zu sehen“ und bezog sich dabei auf Kuba.

Die UNESCO, die den Tag der Pressefreiheit federführend begeht, hat in diesem Jahr die Bedeutung des Journalismus und der Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit der aktuellen globalen Umweltkrise zum Thema gemacht. Dieser Tweet zeigt jedoch, dass das Geringste, worum es an diesem Tag geht, der Beitrag der Medien zum Umweltbewusstsein ist.

Organisationen im Dienste der Eliten, die sich als unparteiische Richter verkleiden, urteilen, befehlen, bewerten und veröffentlichen schließlich die Weltrangliste der Pressefreiheit, in der Norwegen, Irland, Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande die ersten Plätze einnehmen. Anders ausgedrückt: Dies sollen laut „Reporter ohne Grenzen“ die Länder sein, in denen der Journalismus am freiesten ausgeübt wird. Zufälligerweise gehören sie alle zu den Ländern, die man als Vorzeigeländer des Kapitalismus und des Wohlfahrtsstaates bezeichnen könnte, die von der europäischen Sozialdemokratie gefördert werden.

Interessanter sind jedoch die zehn Schlusslichter auf einer Liste von 180 Ländern: Saudi-Arabien, Bahrain, Kuba, Birma, Eritrea, Syrien, Turkmenistan, Iran, Vietnam, China und Nordkorea. Es ist kein Zufall, dass es sich bei sechs dieser zehn Länder um solche handelt, die eine Alternative zum globalen Kapitalismus darstellen oder unbequeme Regierungen haben, die sich gegen diejenigen auflehnen, die meinen, ihnen gehöre die Welt.

Ein wichtiger Aspekt ist die Situation im Gazastreifen, wo in 150 Tagen 103 Journalisten ermordet wurden, was eine echte Tragödie für den palästinensischen Journalismus darstellt und die Missachtung der elementarsten Postulate des internationalen Rechts durch das zionistische Regime demonstriert.

Javier Couso sagte, dass man in den Vereinigten Staaten den Präsidenten kritisieren kann, heilige Freiheit, aber man wird nie in den Medien sehen, dass eine Fliege in einer Coca-Cola-Flasche aufgetaucht ist, weil die Beeinträchtigung des Geschäfts nicht unter diese Freiheiten fällt.

Pressefreiheit bedeutet viel mehr, als das zu veröffentlichen oder nicht zu veröffentlichen, was dem Journalisten gefällt. Sie bedeutet die Sicherheit, aussprechen zu können, was wir wollen, ohne Angst vor Entführung und Tod. „Reporter ohne Grenzen“ vergisst, dass hier auf der Insel, die an 172. Stelle von 180 Ländern steht, vor 66 Jahren der letzte Journalist ermordet wurden. Es war der junge Ecuadorianer Carlos Bastidas, den es das Leben kostete, in die Sierra hinaufzusteigen und ein Interview mit Fidel zu machen.

Ich bin nicht blind vor revolutionärer Leidenschaft. Mir ist bewusst, dass wir vor der Aufgabe stehen, unsere Presse von innen heraus weiter zu verbessern, die öffentliche und die Medienagenda jeden Tag einander anzunähern, den Funktionären, die glauben, die Informationen zu besitzen, klar zu machen, dass diese jedem zustehen und daher niemandes Eigentum sein können. Es geht darum, ein Pressemodell weiter aufzubauen, das den Aufbau des Sozialismus in Kuba begleitet.

Anstatt weiterhin Listen zu politischen Zwecken zu manipulieren, sollten sich die Welt, „Reporter ohne Grenzen“ und die berüchtigte Interamerikanische Pressekommission zusammentun, um dafür zu sorgen, dass sich die Geschichten von Marco Álvarez, María Efigenia Vásquez, Samuel Jonathan Rivas, Vilma Gabriela Barrios, Carlos Oveniel Lara, Juan Luis Lagunas, Julio César Moisés, Arnaldo Enrique Albornoz und so vielen anderen, zumeist jungen Kollegen, denen der schönste Beruf der Welt das Leben genommen hat, nicht wiederholen.

Der 172. Platz, den wir laut der oben genannten NGO einnehmen, ist von geringem Interesse, solange unsere Presse weiterhin revolutionär und wahrheitsgetreu ist. Es wird keinen besseren Platz in der Weltrangliste geben. Jahr für Jahr werden wir weiterhin die Geschichten von Kubanern für die Kubaner aufschreiben. Sie dagegen werden der traurigen und zunehmend langweiligen Geschichte eines gekaperten Begriffs anhängen.

Übersetzung: Tobias Kriele