Kein Einreisevisum von God‘s Own Country

Teilname an der UN-Generalversammlung verweigert

Von Andre Scheer

Es ist ja nun nicht so, dass die USA das bevorzugte Urlaubsziel von Miguel Díaz-Canel wären. Von daher könnte man die Mitte Juli vom State Department in Washington verkündeten Sanktionen gegen den kubanischen Präsidenten mit einem Schulterzucken abtun. God‘s Own Country will dem Compañero kein Einreisevisum erteilen? Scheiß drauf, es gibt nun wirklich bessere Reiseziele. Das dürften auch Kubas Verteidigungsminister Álvaro López Miera und Innenminister Lázaro Alberto Álvarez Casas so sehen.
Aber die USA sind nun einmal auch Sitz der Vereinten Nationen, und in New York findet regelmäßig die Generalversammlung statt. Dazu reisen jährlich unzählige Staats- und Regierungschefs oder andere hochrangige Vertreter der Mitgliedsstaaten in die Metropole. Das 1947 verabschiedete Abkommen über das UNHauptquartier verbietet den USA als Gastgeber, Repräsentanten der verschiedenen Länder oder von UN-Organisationen den Zugang zu den Räumlichkeiten der Vereinten Nationen zu verweigern. Einwanderungsgesetze dürften nicht in einer Weise missbraucht werden, dass dadurch die Privilegien der UNO eingeschränkt werden, und „wenn Visa (…) verlangt werden, müssen sie ohne Gebühren und so schnell wie möglich erteilt werden“.
Wollen die USA nun einen Auftritt von Díaz-Canel vor der UNGeneralversammlung verhindern? Überraschend wäre das nicht, denn die Trump-Regierung hat ihre gegenüber der UNO eingegangenen Verpflichtungen immer wieder verletzt. Tagungen von UN-Fachorganisationen mussten bereits verschoben werden, weil Washington etwa dem Leiter der russischen Delegation das benötigte Visum nicht rechtzeitig ausstellte – und auch der Iran, Venezuela, Nicaragua oder Syrien waren schon von solchen Schikanen betroffen. Schon vor fünf Jahren kommentierte das von der Friedrich- Ebert-Stiftung herausgegebene IPG-Journal das Vorgehen der USA: „Sie betreiben ein politisches Spiel um diplomatische Visa, das zunehmend die eigentliche Arbeit zur militärischen Abrüstung stört. Russland und andere Länder beschuldigen die Vereinigten Staaten, ihr Recht auf die Ausstellung von Visa am Hauptsitz in New York zu missbrauchen. Dieses Verhalten schädigt zunehmend das Image der Vereinigten Staaten bei der UN.“
Wie begründet Washington eigentlich die Strafmaßnahmen gegen Díaz-Canel und andere kubanische Regierungsvertreter? USAußenminister Marco Rubio verwies in seinem Pressestatement am 11. Juli auf den Jahrestag der Proteste in einigen Orten Kubas: „Vor vier Jahren gingen Tausende Kubaner friedlich auf die Straße, um eine Zukunft frei von der Tyrannei zu fordern. Das kubanische Regime antwortete mit Gewalt und Unterdrückung und verhaftete Tausende unrechtmäßig, von denen mehr als 700 weiter inhaftiert sind ...“
Eine blühende Phantasie kann man Herrn Rubio jedenfalls nicht absprechen. Tausende Verhaftete? Selbst Amnesty International, das nicht gerade als Kubafreundlich bekannt ist, sprach damals nur von „Hunderten“ Festnahmen. Und wie der US-Außenminister auf die Zahl von 700 noch immer Inhaftierten kommt, bleibt sein Geheimnis – antikommunistische NGOs kolportierten in den vergangenen Jahren durchweg geringere Zahlen. Richtig ist, dass in der Folge der Ausschreitungen um den 11. Juli 2021 mehrere hundert Menschen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Denn diese waren beileibe nicht immer so „friedlich“, wie Herr Rubio halluziniert. Es flogen Steine, Polizeifahrzeuge wurden umgestürzt, Geschäfte geplündert – während die Polizei auch unabhängigen Berichten zufolge meist deeskalierend wirkte.
Wie war das noch mit Polizeigewalt, Unterdrückung friedlicher Proteste, willkürlichen Inhaftierungen? Die Menschenjagd der US-Einwanderungsbehörde ICE, deren maskierte Beamte mit ungekennzeichneten Fahrzeugen Hatz auf Bürger machen, die sie für Einwanderer halten. Das brutale Vorgehen von Polizei und Nationalgarde gegen Protestierende in Los Angeles und anderen Städten geht ungebremst weiter. Würden andere Staaten die Maßstäbe Washingtons auf die USA anwenden, blieben Donald Trump und seinen Komplizen praktisch alle Länder der Welt verschlossen, das Golfspielen in Schottland müsste er sich dann abgewöhnen… Aber nein, dort macht ihm lieber EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre katzbuckelnde Aufwartung.
Und wer sind am Ende die Leidtragenden? Zum Beispiel die neun- bis zehnjährigen Mädchen aus Pinar del Río, die nicht an einem karibischen Softball-Turnier in Puerto Rico teilnehmen konnten, weil die US-Behörden ihren Begleitpersonen ohne Begründung die Visa verweigerten. Toll gemacht, Herr Rubio.