Enrique Ubieta Foto: Dietmar Koschmieder  
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Revolution ist
notwendig, auf
jeden Fall aber
möglich
Che, der große Revolutionäre
und Internationalist wurde vor
58 Jahren in Gefangenschaft
ermordet. Totzukriegen
ist er dennoch nicht.
Von Tobias Kriele
Ob Ernesto Guevara de la Serna
wirklich am 14. Juni 1928 geboren
wurde, ist umstritten: Möglicherweise
haben seine Eltern den
Geburtstermin nachträglich nach
hinten verschoben, um es so aussehen
zu lassen, als wäre Mutter Celia
de la Serna erst nach der Hochzeit
schwanger geworden. Ernesto
stammte aus einer kleinbürgerlichen
Familie, was den argentinischen
Journalisten Jorge Ricardo
Masetti, der den damals noch unbekannten
Guevara 1957 in der Sierra
Maestra interviewte, zu der
Bemerkung veranlasste: „Auf den
ersten Blick erschien er mir wie
ein typischer Muchacho der argentinischen
Mittelschicht.“
Kein Wunder, dass es den jungen
Arzt in die Welt hinauszog.
1951 unternahm Guevara seine berühmte
Motorradreise mit „La Poderosa“
und Alberto Granada. Erster
Kontakt mit den verschiedenen
Formen der Ausbeutung und Unterdrückung
auf dem südamerikanischen
Subkontinent. 1953 stand
eine weitere Reise mit der Eisenbahn
durch Lateinamerika, Panama,
Costa Rica, Nicaragua und
Guatemala auf dem Programm,
über die er wie bei der ersten Reise
Tagebuch führte. Auf dieser Reise
war er, insbesondere in Guatemala,
das damals unter dem Präsidenten
Jacobo Árbenz als der fortgeschrittenste
Versuch einer gesellschaftlichen
Alternative zum
Neokolonialismus galt, zum ersten
Mal Teil eines gesellschaftlichen
Umgestaltungsprozesses.
1954 lernt Guevara in Guatemala
Nico López kennen. Im Juni 1954
erfolgt die Intervention der USA
zur Absetzung von Àrbenz. Einige
Wochen später geht Guevara nach
Mexiko, wo er Nico López wiedertrifft
und dann Raúl Castro und
später Fidel und Gefährten kennenlernt.
Diese verleihen ihm den
Namen „Che“.
Als die Kubaner im Jahr 1956
nach Kuba aufbrechen wollen, erklärt
der Che, nach dem gefahndet
wird, dass er nicht mit nach Kuba
komme und sich stattdessen deportieren
lasse, um die Expedition
der Granma nicht zu gefährden.
Fidel antwortet: „Ich lasse
dich nicht zurück!“. Der Che setzt
mit den anderen nach Kuba über.
Vorgesehen war, dass er die Kämpfer
als Arzt begleitet, aber im ersten
unfreiwilligen Gefecht in Alegría
de Pino lässt er seine Medikamententasche
stehen, ergreift
stattdessen eine Kiste Munition
und wird in der Folge zum Kämpfer
und später zum Comandante
Che Guevara. Als solcher befehligt
er 1958 den Angriff auf Santa
Clara und die Einnahme des Tren
Blindado, was als die entscheidende
Schlacht um die Macht in Kuba
gilt. Guevara zieht mit den Rebellen
am 8. Januar 1959 in Havanna
ein und wird Kommandeur
der Festung La Cabaña und zieht
als solcher eine größere Zahl an
Schergen der Batista-Diktatur zur
Rechenschaft.
Im selben Jahr wird er Leiter des
Nationalen Instituts für die Agrarreform.
  
    
      
         
        Der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai begrüßt Che Guevara im
Februar 1965. Dies ist nach November 1960 der zweite Besuch Ches in
China.  Foto: gemeinfrei  
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Gesicht des
Internationalismus
1960 reist er durch verschiedene
sozialistische Länder, darunter die
Sowjetunion und auch China. 1963
unternimmt er eine Reise nach Algerien.
Im Dezember 1964 forderte
Guevara in einer Rede vor der UNGeneralversammlung,
dass das
Konzept der friedlichen Koexistenz
nicht nur zwischen den Großmächten,
sondern zwischen allen
Staaten gepflegt werden sollte. Es
wird deutlich, dass Guevara das
Interesse der aus dem Kolonialismus befreiten Länder in den Mittelpunkt
rückt.
Vor der UNO sagt Che Guevara
wörtlich: „Ich fühle mich als ein lateinamerikanischer
Patriot … und
bin als solcher bereit, mein Leben
für die Befreiung eines jeden Landes
von Lateinamerika zu geben,
ohne dafür etwas zu erbitten oder
zu verlangen, ohne jemanden auszubeuten.
… Das gesamte kubanische
Volk teilt diese Bereitschaft.“
Guevara war auch gegenüber den
sozialistischen Staaten ein Fürsprecher
des Trikonts. 1964 forderte
er in einer Rede in Algerien, dass
die sozialistischen Länder sich die
Entwicklung der Länder, die sich
zum damaligen Zeitpunkt auf den
Weg ihrer Befreiung machen, etwas
kosten lassen müssten. 1965 unternimmt
Che Guevara den Versuch,
im Kongo eine revolutionäre Bewegung
zu initiieren. Die Mission dort
scheitert, Che reist über Prag klandestin
nach Havanna, wo er sich auf
den Einsatz in Bolivien vorbereitet.
Am 31.12.1965 trifft er sich in
Bolivien mit Mario Monje, Parteichef
der KP Boliviens, welcher der
Guerillaoperation seine Unterstützung
versagt. Die Guerilla ist infolgedessen
isoliert, es kommt zu Desertationen
und Verrat. Die CIA
lässt die Guerilleros einkreisen,
am 8.10.1967 wird ein Großteil der
Gruppe aufgerieben und der Che
gefangen genommen. Am nächsten
Tag wird er in Gefangenschaft erschossen
und mit sechs anderen getöteten
Guerilleros verscharrt. Fidels
Versprechen, den Che nicht zurückzulassen,
gilt auch nach dessen
Tod: 1997 macht ein Suchkommando
die Gebeine der Ermordeten
ausfindig und verbringt sie ins
Memorial nach Santa Clara.
  
    
      
         
        Kurz vor Che Guevaras Verschwinden aus dem öffentlichen Leben im
Jahr 1966 machte er auf dem Weg nach Algerien in Kairo Halt, wo er
vom damaligen Präsidenten Gamal Abdel Nasser (M.) empfangen wurde. Foto: gemeinfrei  
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Dialektik der Praxis
Die Einheit zwischen Idee und Aktion
steht im Zentrum des Denkens
des Che Guevara. Sie ist vermutlich
ausschlaggebend für die Faszination,
die er in Kuba und der Welt bis
heute auslöst. Aber Guevara war
auch in der Lage, seine Herangehensweise
aus der marxistischen
Weltanschauung abzuleiten. Der
Mensch als Subjekt der Geschichte
stellte für ihn eine der wichtigsten
Erkenntnisse des philosophischen
Denkens von Karl Marx dar.
Dabei hielt Che Guevara es für
möglich, dass es ein „unbewusstes“,
nicht theoretisch geschultes
bzw. entwickeltes marxistisches
Denken geben kann, das der Praxis der Menschen entspringt.
Die wesentlichen Wahrheiten des
Marxismus, so meinte er, sind im
kulturell-geistigen Erbe der Völker
verinnerlicht und können – im
Falle einer revolutionären Bewegung
– mit natürlicher Selbstverständlichkeit
aktiviert werden.
Dementsprechend waren für Che
Guevara die Gesetze des Marxismus
in den Geschehnissen der kubanischen
Revolution gegenwärtig
– ganz unabhängig davon, ob
ihre Führer sich zu ihnen bekennen.
Dieser Klasseninstinkt will
aber gepflegt sein. So sagte er von
Rosa Luxemburg, es habe zwar nie
jemand etwas von ihr gelesen und
ihre Kritik an Marx sei fehlerhaft
gewesen. Aber: „Sie starb gemeuchelt,
und der Instinkt des Imperialismus
ist dem unsrigen in diesen
Dingen überlegen.“
All das bedeutet nicht, dass Guevara
die Rolle der Theorie heruntergespielt
hätte. In seinem letzten
Brief an Armando Hart 1965 legt
der Che eine Bibliografie der Allgemeinbildung
vor, die es in sich
hat. Che war dabei der Meinung,
dass es wichtig ist, sich die Inhalte
selbst anzueignen, ganz nach dem
Motto von Fidel Castro: „Leer, no
creer!“ – „Lesen statt glauben!“.
So verlangte er auch von seinen
Mitarbeitern im Industrieministerium,
dass sie an Kapital-Lesekreisen
teilnähmen. Von den sowjetischen
ML-Handbüchern der
Chruschtschow-Ära hielt Guevara
dagegen gar nichts: „In Kuba ist
(in Sachen Philosophie) nichts veröffentlicht
worden, sehen wir einmal
von den sowjetischen Schinken
ab, die die unangenehme Eigenschaft
haben, dich nicht denken
zu lassen. Die Partei hat es bereits
für dich getan und du musst
nur noch verdauen.“ Che Guevara
nannte dies „die wohl unmarxistischste
aller Methoden“.
  
    
      
         
        Dies ist Alberto Kordas kompletter Film von der Gedenkfeier für La Coubre am
5. März 1960 in Havanna, Kuba. Der Film enthält Bilder von Fidel Castro, Jean-
Paul Sartre, Simone de Beauvoir und sein berühmtes Bild von Che Guevara. 
Foto: Alberto Korda / gemeinfrei  
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Das Ansinnen des Che war es, das
Kriterium für die Wahrheit wieder
in der Praxis zu suchen. Daraus ergab
sich für ihn die Anforderung an
den Revolutionär, den historischen
Moment einschätzen und daraus
Handlungsräume ableiten zu können.
Die reale Fähigkeit eines Revolutionärs
maß sich für Che Guevara
dementsprechend an seiner
Fähigkeit, in jeder veränderten Situation
passende revolutionäre
Taktiken zu bestimmen. Eine solche
Herangehensweise fragt nicht
in erster Linie danach, was in einer
Situation notwendig ist, sondern
welche Möglichkeiten sich in dieser
Situation bieten. Eine bis heute unschätzbar
wertvolle Einsicht.