Bolivien ein zweites Chile?

Während auch in der Linken in Deutschland Venezuela in aller Mund ist, wird über die Entwicklung in Bolivien eher wenig geredet und geschrieben. Ganz zu Unrecht.

Die Erklärung von Danielle Mitterand klang dramatisch

"Ich appelliere feierlich an die Verteidiger der Demokratie, an unsere politischen Führer, an unsere Intellektuellen, an unsere Medien. Werden wir darauf warten, dass Evo Morales das Los Salvador Allendes erfährt, um dann das Los der bolivianischen Demokratie zu beweinen? Die Demokratie gilt für uns alle oder für keinen. Wenn wir sie bei uns lieben, müssen wir sie überall dort verteidigen, wo sie bedroht ist. Es steht uns nicht u – wie gewisse Leute Arrogant behaupten – die Demokratie bei anderen mit Waffengewalt einzuführen. Dagegen steht es uns zu, sie bei uns mit aller Kraft unserer Überzeugung zu schützen und an der Seite derer zu stehen, die sie bei sich eingeführt haben."

Wenige Wochen später zogen mehr als 10.000 Intellektuelle und WissenschaftlerInnen aus aller Welt nach. Unter der Überschrift "Die Konspiration gegen Bolivien muss angeklagt werden", erklärten sich unter anderem die beiden Nobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel (Argentinien) und Rigoberta Menchú (Guatemala) solidarisch mit der sozialistischen Regierung Boliviens. Zu den Erstunterzeichnern gehören auch der US-Linguist Noam Chomsky, der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer, der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano und der spanische Publizist Ignacio Ramonet.

Mit diesen beiden Aufrufen wurde deutlich, dass vor allem im Ausland schon längst eine Solidaritätsbewegung mit Bolivien angelaufen ist. In Deutschland liegt hingegen Bolivien noch immer im Windschatten von Venezuela. Tatsächlich arbeiten die Regierungen von Venezuela und Bolivien sehr eng zusammen und es gibt vor allem außenpolitisch sehr viele gemeinsame ziele.

Doch dürfen auch die Unterschiede nicht vergessen werden. Der politische Block, der Evo Morales an die Regierung gebracht hat, hat vielmehr Elemente der klassischen lateinamerikanischen Linken als der bolivarianische Prozess um Chávez in Venezuela. Wie verschiedene LateinamerikaexpertInnen deutlich machten, ist die Bedeutung von Chávez vor allem aus der großen Krise der klassischen venezolanischen Linken zu erklären. Daher sind für Bolivien die Vergleiche mit der chilenischen Unidad Popular, wie sie in den Solidaritätsaufrufen für Evo Morales zu finden sind, nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt aber noch eine weitere Parallele. In Bolivien sind die konservativen Kräfte noch viel stärker in bedeutenden Staatsapparaten, wie der Armee, der Regionalregierungen und der Justiz verwurzelt als in Venezuela. Dort hatte sich die konservative Opposition mit ihrem gescheiterten Putschversuch und den ebenfalls gescheiterten Unternehmerstreiks selbst ins Aus manövriert und davon noch nicht wieder erholt.

Daher ist die Situation für die fortschrittlichen Kräfte in Bolivien tatsächlich bedrohlicher und es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass in Deutschland darüber wenig gesprochen wird.

Illegale Autonomiereferenden

Die am 4. Mai durchgeführten Autonomiereferenden zeigen die Taktik der Rechten. Sie haben nämlich damit nicht nur die Morales-Regierung düpiert, sondern sich auch gegen die Justiz gestellt. Die hatte nämlich aus formalen Gründen sowohl die Referenden der rechten Opposition als auch die von der Regierung anvisierte Abstimmung über die neue Verfassung Boliviens, die von der Opposition wütend bekämpft wird, ür den 4. Mai aufgehoben. Während sich die Regierung an den Spruch der Justiz hielt und die Abstimmung über die Verfassung verschoben hat, ignorierte die konservative Opposition den Richterspruch und führte die Referenden durch. Damit hat sie, wie die Chávez-Gegner 2002/03 in Venezuela und die rechte Opposition gegen Allende ab 1972 den Weg einer parlamentarischen Opposition verlassen und deutlich gemacht, mit allen Mitteln gegen die ihnen verhasste Regierung vorzugehen und den parlamentarischen Weg zu ignorieren, weil er den Rechten als zu langwierig bzw. nicht erfolgversprechend erscheint. Zur Erinnerung: Die Radikalisierung der Allende-Gegner bis hin zur Faschisierung war wesentlich mit den Erfolgen der Unidad Popular 1973 bei Wahlen verbunden Gerade, weil sie erkannten, dass die Linksregierung eine parlamentarische Mehrheit hat, wurde schließlich der Putsch zum einzigen Weg um die Pfründe und Privilegien zu erhalten.

Deswegen ist es auch keine Entwarnung, dass sich die Morales-Regierung und ein Teil der rechten Opposition auf ein Referendum verständigt haben, in dem die Bevölkerung landesweit über den Fortgang der Entwicklung in Bolivien entscheidet. Erhält die Regierung dort weniger Stimmen als bei den letzten Wahlen müssten Neuwahlen anberaumt werden. Während die Morales-Regierung zuversichtlich ist, siegreich aus dem Referendum hervorzugehen, müssen einige rechte Provinzgouverneure um ihre Posten fürchten. Denn auch für sie gilt das gleiche Prozedere. Die Uneinigkeit der rechten Opposition kann dem Regierungslager und den unterstützenden sozialen Bewegungen zu Gute kommen. Doch dadurch kann auch die Faschisierung eines Teils der Rechten gefördert werden. Solange sie Bastionen im Militär und in anderen Teilen der Elite haben, ist also äußerste Vorsicht angesagt.

Auf rassistischer Grundlage

In Bolivien wird die Auseinandersetzung mit rassistischer Grundierung geführt. In den Provinzen wurden mehrmals Indigene, sowohl Mitglieder von Landkooperativen und Gewerkschaften, von einem rechten Mob gejagt, geschlagen und gedemütigt. Ein erfolgreicher Coup der Rechten hätte also voraussehbar eine Repressionswelle gegen Linke und Indigenas zur Folge. Es sollte nicht verschwiegen werden, dass dieser Rassismus der bolivianischen Oberschicht auch auf Seiten der Regierungsmehrheit zu fragwürdigen Folgerungen führte. Ein Teil des heterogenen Bündnisses, das die Regierung trägt, will zurück zu indigenen Ansätzen und erklärt pauschal Marxismus und klassische linke Modelle als Teil der alten weißen Herrschaftsstruktur. Dabei wird unterschlagen, dass es in der Linken Lateinamerikas schon früh lebendige Auseinandersetzungen um das indigene Erbe gegeben hat, z.B. in den Schriften von José Carlos Mariátegui. Außerdem besteht die Gefahr, dass eine Spaltung in ethnische Linien die Gegner von Morales unterstützt. Dabei zeigt gerade die Arbeit von linken Gewerkschaften in Bolivien, die nicht nach ethnischen Gesichtspunkten organisiert waren, dass es sehr wohl auf ökonomischen Ausbeutungsverhältnissen basierenden Bündnisse möglich sind.

Kritische Solidarität

Wir sollten den sozialen Prozess in Bolivien mit kritischer Solidarität begleiten. Solidarität gilt den Menschen, die schon jetzt von rechten Schlägertrupps und ihren Propagandisten aus der Opposition verfolgt werden. Wir sollten uns genau so mit den Verhältnissen in Bolivien befassen, wie die Linken in Bolivien die Abschottung Europas von Menschen aus dem globalen Süden verurteilen. So hat Evo Morales in einem Brief an die EU-Kommission diese Abschottungspolitik, von der auch jahrelang in Europa lebende und arbeitende MigrantInnen aus Lateinamerika betroffen sind, scharf kritisiert. Der Brief ist meines Wissens nach nur in der jungen Welt dokumentiert worden. Denn auch hierzulande gilt, nicht jeder Staatschef bekommt die gleiche Aufmerksamkeit. Und Evo Morales zählt für die Mehrheit der Presse nicht zu den Freunden der freien Welt.

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Peter Nowak

CUBA LIBRE 3-2008