"Dissidentengruppe", Russland oder falsche Flagge?

Schallattacken in Havanna

Es war das kubanische "Baggerseekrokodil": Die vermeintlichen "Schallattacken" mit einer "ausgeklügelten Waffe" auf 21 Mitarbeiter der US-Botschaft in Havanna, aufgrund derer die Trump-Regierung – so die Presse – sogar deren Schließung erwogen hat.

Angesichts fehlender Beweise verlegen sich gewisse Medien darauf, für diesen "Vorfall" den kubanischen Geheimdienst verantwortlich zu machen. Die spanische Tageszeitung ABC widmete über die Hälfte einer ausführlichen Meldung den Ausführungen eines angeblichen "ehemaligen politischen Häftlings", welcher "nicht den kleinsten Zweifel" an der Verantwortung der Regierung unter Raúl Castro hegt. Dieselbe Person berichtete von "ausdauernden Schallfolterungen". Um seine Geschichte glaubwürdiger zu machen, erklärte ABC, er habe schon vor Jahren "Kuba vor dem Generalrat der Vereinten Nationen" mit "Sitz in Genf" angeklagt.

Tatsächlich sprach die genannte Person, Luis Zúñiga Rey, 2004 vor der Menschenrechtskommission der UNO . Was ABC nicht erwähnt, ist, dass er dies in seiner Eigenschaft als Vertreter der US-Regierung tat, wenige Monate nach der Invasion in den Irak. Luis Zúñiga ist seit den 1970er Jahren CIA-Agent und zugleich einer der aktivsten Terroristen der kubano-amerikanischen Ultrarechten.

Er wurde 1974 festgenommen, als er versuchte, mit einem Schiff voller Sprengstoff und Waffen nach Kuba einzureisen und dafür zu 30 Jahren Haft verurteilt wurde, von denen er 14 tatsächlich absitzen musste. In den USA angekommen, organisierte er den paramilitärischen Flügel innerhalb der Kubanisch-Amerikanischen Nationalstiftung, die sogenannte Frente Nacional Cubano, welche zahlreiche Attentate organisierte und finanzierte, darunter neun gegen Fidel Castro und Dutzende gegen touristische Einrichtungen auf der Insel.

Tatsächlich hatte Luis Zúñiga bislang zu keinem Anlass erwähnt, dass er "Gehörfolter" erlitten habe, was nahelegt, dass es sich um eine plumpe "Aktualisierung" seiner Geschichte handelt, um wieder auf die mediale Bühne zurückzukehren.

Die großen US-Pressemedien brachten auf ein Neues den Feind Russland für die vermeintlichen "Schallattacken" ins Spiel: CBS News und die Zeitschrift Newsweek erinnerten daran, dass "bereits die Sowjets bombardierten über 20 Jahre lang die US-Botschaft in Moskau mit Mikrowellen". Die spanische Tageszeitung "El Mundo" griff dies auf, indem sie auf "eine Neuauflage von Vorkommnissen während des Kalten Krieges" anspielte. Die Tageszeitung "El País" warf ihrerseits die Hypothese in den Raum, dass "ein dritter Rivale der USA – man spricht von Russland, dem Iran oder Nordkorea – die Attacke durchgeführt hat, möglicherweise mit Hilfe von abtrünnigen kubanischen Agenten".

Allerdings gibt es eine – von den Medien verschwiegene oder heruntergespielte – Tatsache, die die angebliche Aggression des kubanischen Geheimdienstes gegen die USA vollkommen unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die besagten Vorfälle, wenn auch erst in diesem Sommer öffentlich gemacht, begannen bereits im November 2016, also während die Gespräche zwischen Kuba und den USA Fortschritte machten und viele schon deren Scheitern für den Fall des Amtsantritts von Donald Trump prognostizierten. Auch dafür suchten einige internationale Medien obskure Erklärungen. "El País" bezog sich auf "Abweichler im kubanischen Apparat", die versuchten, "die Eiszeit zwischen Washington und Havanna zu boykottieren". Die argentinische Tageszeitung "Clarín" versicherte, "die Ermittler" untersuchten die Möglichkeit einer "rebellischen Abspaltung innerhalb der kubanischen Geheimdienste, eine dritte Regierung (wie Russland) oder eine Kombination beider".

Unterdessen nutzt die kubanoamerikanische Ultrarechte, die bereits einen Teil der US-Außenpolitik dominiert, die Angelegenheit, um die Ausweisung des kubanischen Diplomatenkorps aus Washington und die Schließung der Botschaft in Havanna zu fordern, gerade einmal zwei Jahre nach deren Neueröffnung auf Geheiß von Präsident Obama.

Seltsamerweise ist keines der großen Medien, trotz ihrer Bereitschaft, ihren Lesern die obskursten Hypothesen – in Richtung Russland, Korea oder Kuba – zuzumuten, auf die Idee gekommen, die Möglichkeit auch nur zu erwähnen, dass es sich hier um einen Vorfall "unter falscher Flagge" handeln könnte. Wie damals im Fall der Maine oder der Tonking-Bucht wäre das eine weitere kreative Geschichte der US-Geheimdienstszene.

CUBA LIBRE José Manzaneda, Koordinator von Cubainformación

CUBA LIBRE 1-2018