Bei der Entstehung der neuen Gesellschaft war die Soli-Bewegung mit dabei

Interview mit Gladys Ayllón, Leiterin der Europaabteilung des direkt nach der Revolution von Fidel Castro gegründetem Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP). Cuba Libre: Nach der Revolution, als viele Länder die diplomatischen Beziehungen zu Kuba mehr oder weniger abgebrochen haben, wurde dein Institut gegründet und Fidel Castro hat es als Kubas "Tor zur Welt"bezeichnet. Was sind heute eure Aufgaben?

Zur Erinnerung an die erste Niederlage des US-Imperialismus in Lateinamerika

Gladys Ayllón (l.) und die Vorsitzende der FG BRD-Kuba, Petra Wegener
Foto: Melina Deymann


Gladys Ayllón: Ich glaube, das war eine der großen Visionen, die Fidel gehabt hat. Es war das Ergebnis eines Besuches von Fidel in den USA im März 1960. Er hat dort die große Bewunderung der Menschen für den Prozess in Kuba bemerkt, gleichzeitig hatte die US-Regierung schon begonnen, Kuba in die Isolierung zu drängen. Und so ging es dann ganz schnell, dass im Dezember 1960 das ICAP gegründet wurde. Seine Aufgabe war von seiner Gründung an klar: Kuba so nah wie möglich an allen Völker dieser Welt zu halten. Das war die erste große Abteilung internationaler Arbeit, die wir in Kuba hatten, in den einzelnen Ministerien gab es solche Abteilungen zu dem Zeitpunkt noch nicht. So waren es also die Mitarbeiter des ICAP, die an der Seite der großen Revolutionsführer die Menschen empfangen haben, die nach Kuba kamen, um die Entwicklung mit eignen Augen zu sehen.

Das war der Auslöser für die Gründung der vielen Freundschaftsgesellschaften und Solidaritätskomitees. Die Leute sind nach Kuba gekommen und haben mitgemacht bei Zuckerrohrernten, bei Bauarbeiten für Schulen und Krankenhäuser. Kuba war dabei völlig offen und transparent und hat den Menschen die Lage so gezeigt wie sie war. Als die Besucher dann festgestellt haben, dass tatsächlich eine neue Gesellschaft, ein neues Land aufgebaut wurde, haben sie das mitgenommen und konnten das übermitteln. Diese Freundschafts- bzw. Soli-Bewegung war quasi mit dabei bei der Entstehung dieser neuen Gesellschaft als es die Versuche gab, dieses Land von der Welt zu isolieren. Sie war dabei, als versucht wurde, diese neue Gesellschaft wieder zu beseitigen. Deshalb besteht sie so lange.

Von 1960 bis heute bestehen die großen Aufgaben des ICAP weiterhin darin, gegen die großen medialen Hetzkampagnen und alle imperialistischen Angriffe gegen uns zu arbeiten. Wir sind eine gesellschaftliche Organisation, eine soziale Bewegung. Trotzdem ist es so, dass wir der Linie unserer Partei, der Kommunistischen Partei Kubas, folgen. Die zentralen Kampagnen des ICAP sind immer darauf gerichtet, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen. Im Moment initiieren und unterstützen wir zum Beispiel Aktionen, die das Ziel haben, die mörderischen Auswirkungen der Blockade deutlich zu machen. Nicht nur die Auswirkungen auf die kubanische Bevölkerung, sondern auch die internationalen Auswirkungen.

Cuba Libre: Das ICAP organisiert jedes Jahr internationale Soli-Brigaden, eine davon ist die Internationale Brigade José Martí, an der auch immer eine Gruppe aus Deutschland teilnimmt. Was ist dieses Jahr das Besondere, dass sie von den anderen Brigaden unterscheidet?

Gladys Ayllón: Pro Jahr organisiert das ICAP regelmäßig vierzehn Brigaden. Diese sind aufgeteilt nach den 5 Kontinenten. Das heißt, es gibt eine breite Vielfalt an Adressaten, an die Einladungen zu den Brigaden gerichtet werden. Es sind Einladungen, sich an einem Kontingent freiwilliger Arbeit zu beteiligen. In diesem Jahr begehen wir den 65. Jahrestag der Angriffe auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba und die Kaserne "Carlos Manuel de Céspedes" in Bayamo – am 26. Juli jeden Jahres begehen wir den "Tag des nationalen Aufbegehrens". Die zentrale Ehrenveranstaltung wird in diesem Jahr in Santiago de Cuba stattfinden. Die europäische Brigade José Martí wird in diesem Jahr das Privileg haben, an dieser Ehrenveranstaltung am 26. Juli in Santiago de Cuba teilnehmen zu dürfen. Sie wird ebenfalls die Möglichkeit haben, den Stein (so nennen wir das auf Kuba) zu besuchen, unter dem die sterblichen Reste des unsterblichen Fidel Castros ruhen. Wir denken, dass die Teilnehmer dieser Brigade sich die Geschichte Kubas, die geschmiedet wurde unter dem Feuer von Kugeln, ganz besonders erleben und in Erinnerung behalten werden. Es wurde sehr viel Blut vergossen, um die Unabhängigkeit und Souveränität unserer Insel zu erlangen. Wir werden dort die Vergangenheit, die Gegenwart und die Kontinuität der kubanischen Revolution erleben. Diese Kontinuität liegt genau darin, das Erbe von Fidel Castro zu bewahren.

Cuba Libre: Seit 2014 hat die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba gemeinsam mit der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) das „Proyecto Tamara Bunke“ in Kuba durchgeführt, das heißt, das zweimal im Jahr eine Gruppe junger Leute mit dem Projekt Kuba besuchen. Wie schätzt du die Wirkung dieses Projektes ein?

Gladys Ayllón: Für die Kubanerinnen und Kubaner hat Tamara Bunke, Tania la Guerrillera, eine ganz besondere Bedeutung – besonders für die Jugend. Viele Kubaner gehen davon aus, dass Tania Kubanerin war und wissen gar nicht, dass sie deutschen Ursprungs war. Im ICAP haben wir Dokumente gefunden, die Tania übersetzt hat, als sie als Dolmetscherin freiwillige Arbeit für das ICAP geleistet hat. Dass Studierende aus Deutschland und aus Kuba zusammen kommen, dass kann als Ergebnis schon mal ein "Nicht-vergessen" bedeuten. Sowohl die Kubaner als auch die Deutschen lernen jeweils von den anderen. Ich denke, dass von den Kubanern vor allem gelernt werden kann, das Leben mit Freude zu nehmen und solidarisch zu sein. Dass man nicht so viele Ressourcen braucht, um zu leben, und das man kein Handy braucht, um glücklich zu sein. Die Kubaner werden von den Deutschen mitbekommen, dass auch die entwickelten Länder nicht gerade eine perfekte Gesellschaft haben. Und was am Ende gewinnen wird, ist der gemeinsame Gedanke, dass wir alle Männer und Frauen mit Potenzial sind. Gerade die Mangelwirtschaft und die Probleme Kubas haben dazu geführt, dass wir einen ungeheuren Erfindungsgeist und eine große Kreativität entwickelt haben. Das Schönste an dem Projekt ist, dass sich die Menschen wirklich kennenlernen. Und das ist die wahrhafte Freiheit.

Cuba Libre: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat gerade Kuba besucht und es gibt zwischen Kuba und der EU ein Abkommen über politischen Dialog und Zusammenarbeit. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Gladys Ayllón: Bevor dieses Abkommen unterzeichnet worden ist, gab es sehr viele Verhandlungen – mit der Umsetzung dieses Abkommens wurde bereits begonnen. Nun war Mogherini in Kuba und das Wichtigste bei ihrem Besuch war ihre Aussage, dass die EU weiterhin gegen die illegale Blockade kämpfen wird.

Was Kuba sich erhofft und erwartet, ist, dass es tatsächlich eine gemeinsame Position der EU dazu gibt. Bisher können Banken immer noch keine freien Überweisungen nach Kuba vornehmen. Seit der Zeit der Präsidentschaft Barack Obamas ist es sogar so, dass es unter den Banken panische Angst gibt, was Überweisungen nach Kuba angeht. Ich erwähne hier Obama, weil die Trump-Regierung natürlich schlimmer als die Bush-Regierung ist, aber viele Leute dabei vergessen, dass unter Obama die meisten und höchsten Strafzahlungen für Beziehungen zu Kuba – oder schon für den Versuch der Aufnahme von Beziehungen – verhängt wurden. Zum Beispiel die millionenschwere Strafzahlung, die gegen die französische Großbank BNP Paribas verhängt wurden. Und Frankreich hat, statt gegen diese Strafen zu protestieren, nur eins gemacht: gezahlt. Die ganzen Vorfälle mit den Banken ING Diba oder der ING in den Niederlanden, das dürfen wir auch nicht vergessen. Denken wir an die Soli-Bewegung in Deutschland, wo es Probleme mit PayPal gab. Mal sehen, ob die EU tatsächlich entschieden hat, jetzt eine andere Haltung gegenüber Kuba einzunehmen.

Es soll auch gemeinsame Abschlüsse zu den Themen Umweltschutz, Technologie und Landwirtschaft geben. Es ist sogar ein Abkommen vorgesehen, das gemeinsame Projekte der EU mit Kuba vorsieht. Aber glasklar ist und ist auch bei der EU glasklar angekommen: Kuba wird bei keiner Verhandlung – egal worum es geht – seine Prinzipien verraten. Wir erwarten Dialog und einen zivilisierten Umgang miteinander, die Achtung von Unterschieden, der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts Kubas.

Cuba Libre: Mogherini hat die Blockade zu Recht als illegal gegeißelt. Wie viel ist so eine Aussage wert angesichts einer EU-Politik, die im gleichen Atemzug die Sanktionen gegen Venezuela verschärft?

Gladys Ayllón: Das ist genau der Grund, warum Kuba in diesem Dialog von Prinzipien spricht. Auch wenn Kuba dieses Abkommen unterzeichnet hat, ist es weiterhin solidarisch mit Venezuela und wird seine Unterstützung nicht ändern, genauso wenig wie die für Bolivien oder Ecuador.

Egal was passiert, unser Außenministerium wird Verlautbarungen veröffentlichen zur Unterstützung Venezuelas. Für diesen Dialog und die Beziehungen der EU zu Kuba würden wir niemals Lateinamerika oder speziell Venezuela zum Gegenstand von Verhandlungen machen. Kuba tut dies ganz öffentlich, das heißt, wir sagen nicht nur, dass wir unsere Prinzipien niemals verlassen werden, sondern wir veröffentlichen Protestnoten gegen die Maßnahmen gegen Venezuela und sind solidarisch.

Kuba ist gegenüber der EU nicht naiv. In der UNO-Vollversammlung wurde der Antrag Kubas zum Aufheben der Blockade bereits 23 mal gestellt und abgestimmt, alle EU-Staaten stimmen zugunsten dieses Antrags, unterzeichneten ihn und trotzdem machen sie dann genau das Gegenteil. Weil sie dieses Vorgehen zulassen.

Cuba Libre: Kuba befindet zur Zeit in einer Übergangsphase. Es werden demnächst keine Teilnehmer der Revolution mehr an der Spitze des Staates stehen, im April soll Raúl Castros Nachfolger gewählt werden. Wie gestaltet sich dieser Übergang?

Gladys Ayllón: Mir gefällt das Wort "Übergang" nicht. Was wir in Kuba erleben ist Kontinuität. Von Außen gucken die Leute und meinen es wäre ein neuer Prozess, aber in Kuba fühlen wir uns alle als Teil der revolutionären Führung. Das betrifft sogar diejenigen, die nicht Mitglieder der Kommunistischen Partei Kubas sind. Das ist der Grund, warum wir bei den Wahlprozessen in Kuba keine Kandidaten der PCC aufstellen. Diejenigen, die als Kandidaten zur Wahl der Nationalversammlung aufgestellt werden und schließlich auch eine Führungsposition im Land bekommen, kommen immer aus dem Volk. Es gibt auch keinen Wahlkampf. In jeder Gemeinde, in jedem Ortsteil werden diejenigen, die sich zur Wahl stellen, bekannt gemacht durch eine DIN-A4-Seite mit ihrer Biografie und einem Foto. Es ist also ein transparenter Prozess.

Das ist sozusagen ein weiteres Recht, das wir haben, dass jeder, der eine Verantwortung übernimmt – bis zur höchsten Ebene – von unten nach oben schrittweise gewählt wird. Unser Präsident, Raúl Castro Ruz, hat bei seinem ersten Amtsantritt gesagt, dass er diese Funktion für zwei Perioden wahrnehmen wird. Damit war völlig klar, dass dann auch Wahlen stattfinden werden. In diesem Zusammenhang erinnere ich immer gerne daran, dass Fidel in vollem Bewusstsein seiner Aufgaben und seiner Fähigkeiten gesagt hat, dass er nicht wieder zur Präsidentschaftswahl kandidieren wird und wir Kubaner selber gefragt haben, "Was machen wir jetzt bloß, wenn Fidel nicht mehr der Staatschef ist?". Fidel hat aber entspannt und offen dargelegt, dass es Zeit war, jemand anderem die Führung des Landes zu übertragen und dass die nachfolgenden Generationen entsprechend auf diese Aufgabe vorbereitet werden müssen. Das zeigt, dass er volles Vertrauen in die Kubanerinnen und Kubaner hatte.

Außerhalb des Landes haben die Medien, die internationale Presse, ganz große Nebelkerzen geworfen und Fragen gestellt, wie es denn nun weitergehen soll. Die Mittel, die die USA für subversive Aktionen gerade unter der Jugend bereit stellen, sind zu diesem Zeitpunkt in die Höhe geschossen. Trotzdem hat Kuba seinen demokratischen Prozess ganz normal weitergeführt.

In der jetzt auslaufenden Legislaturperiode ist es so, dass von den 605 Abgeordneten 338 das erste Mal im Parlament und knapp 41 Prozent im Alter zwischen 18 und 35 Jahren sind. Das Durchschnittsalter der Parlamentsabgeordneten beträgt 49 Jahre, das heißt, wir haben ein junges Parlament. Für eine Bevölkerung von knapp 12 Millionen Einwohnern ist es ein Riesenparlament, aber darin sind auch alle Lebenswirklichkeiten Kubas vertreten.

Man muss hervorheben, dass wir für die anstehenden Wahlen vier Kandidaten haben, die aus dem nichtstaatlichen Bereich kommen, den viele als "Privatwirtschaft" bezeichnen. Auch sie werden also ihre Vertreter im Parlament haben. Und ich glaube, was Kuba bis heute besonders prägt und auszeichnet, ist die Solidarität der Menschen untereinander, eine Solidarität, die über den Unterschieden steht.

Manchmal werde ich gefragt ob Kuba eine Diktatur ist. Ja, wir haben die Diktatur des Volkes. Ich glaube, dass deswegen Fidel immer "Diktator" genannt wurde, weil er dem Volk das Handwerkszeug gegeben hat, sich zu verteidigen: Die Bildung. Weil er den Menschen beigebracht hat zu denken. Und das ist für jede Art von Staatsführung eine Herausforderung, weil die Menschen sich ihre eigene Meinung bilden, weil sie bessere Kenntnisse über die internationale Politik bekommen. Denn wir haben die Möglichkeit, Vergleiche zu ziehen mit der ganzen Welt. Das ist die Bildung und die Anleitung zum Denken und Handeln, die wir von unserer Regierung bekommen haben.

Wir wären sehr naiv, wenn wir zuließen, dass man unser kubanisches System kaputtmacht. Die Stärke Kubas besteht darin, dass Probleme festgestellt und kubanische Lösungen dafür gefunden werden – und es gibt viele Probleme, für die wir eine Lösung brauchen.



CUBA LIBRE Das Gespräch führte Melina Deymann

CUBA LIBRE 2-2018