" … unseren Sozialismus stetig zu verbessern"

Zum Tod von Ricardo Alarcón.

Die Nachricht trübte vielen Menschen in Kuba die Freude darüber, zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie wieder gemeinsam am 1. Mai auf die Straße gehen zu können. Am Vorabend des Feiertags der Arbeiter, am 30. April 2022, starb in Havanna der frühere kubanische Außenminister und Parlamentspräsident Ricardo Alarcón de Quesada im Alter von 84 Jahren. Sein Amtsnachfolger Bruno Rodríguez Parrilla würdigte in einer ersten Reaktion auf Twitter seine "Treue zur Revolution, zur Partei, zur Außenpolitik und zur heldenhaften Tradition des Außenministeriums".

Ricardo Alarcón wurde am 21. Mai 1937 in Havanna geboren. Schon in jungen Jahren wurde er in der revolutionären Bewegung aktiv und beteiligte sich als Philosophie-Student an der Universität in der kubanischen Hauptstadt an den Protestaktionen. Im Kampf gegen die Diktatur des an die Macht geputschten Fulgencio Batista arbeitete er mit dem illegalen "Revolutionären Direktorium" zusammen und schloss sich 1955 der von Fidel Castro gegründeten Bewegung 26. Juli an, deren studentischen Arm er organisierte. Nach dem Sieg der Revolution wurde er 1959 zum Vizepräsidenten des Studierendenverbandes FEU gewählt, dessen Vorsitzender er 1961/62 wurde. Zudem gehörte er dem Nationalbüro des kommunistischen Jugendverbandes an und war für dessen internationale Beziehungen verantwortlich.

In dieser Zeit war er in der kubanischen Öffentlichkeit jedoch vor allem als Moderator der Fernsehsendung "Ante la Prensa" (Vor der Presse) bekannt, die vom Sender CMQ TV ausgestrahlt wurde und häufig die führenden Comandantes der Revolution zu Gast hatte. So erklärte etwa Fidel Castro in dieser Sendung am 2. Juli 1959: "Kuba kennt seine Rechte und wird vor niemandem niederknien. Deshalb interessiert uns nicht, was andere planen. Die ganze Welt kann sich, wenn sie will, gegen uns verschwören, was uns interessiert ist, wie bereit wir sind, unsere Souveränität und unsere Würde zu verteidigen."

Jahrzehnte später, 1996, stellte sich Alarcón – inzwischen als Parlamentspräsident einer der höchsten Funktionäre des kubanischen Staates – im US-Fernsehen einer Debatte mit dem antikommunistischen Terroristen Jorge Mas Canosa, damals Chef der von der US-Administration finanzierten "Cuban-American National Foundation". Die Fernsehsendung, die auch in rund 20 Ländern Lateinamerikas übertragen wurde, sorgte für großes Aufsehen, und die "New York Times" fragte sich ratlos, warum sich Alarcón diesem Gespräch mit einem der in Havanna meistgehassten Vertreter der antikommunistischen Mafia in Miami gestellt hatte. Eine Antwort bekam das Blatt von Seiten der kubanischen Regierung nicht.

Gesprächsbereitschaft und Fähigkeit zum Dialog gehörten Zeit seines Lebens zu den wichtigen Fähigkeiten Alarcóns, der lange im Außenministerium gearbeitet hatte und 1992/93 an dessen Spitze stand, bevor er 1993 zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. In dieser Funktion handelte er Mitte der 90er Jahre mit den USA ein wichtiges Migrationsabkommen aus, das bis heute Grundlage der bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Havanna in dieser Frage ist.

Ricardo Alarcón war maßgeblich an der Freilassung der Cuban Five aus der Haft in den USA beteiligt
Ricardo Alarcón war maßgeblich an der Freilassung der Cuban Five aus der Haft in den USA beteiligt.
Foto: Prensa Latina


Während der Kampagne für die Freilassung der fünf in den USA inhaftierten Kubaner, die in Miami Terrorgruppen unterwandert hatten, um Anschläge in ihrer Heimat zu verhindern, war Alarcón ab 2001 nicht nur einer derjenigen, die international unermüdlich die Sache der "Cinco" vertrat – er gehörte offenbar auch zu denjenigen, der hinter den Kulissen aushandelte, dass im Dezember 2014 die drei damals noch inhaftierten Gerardo Hernández, Antonio Guerrero und Ramón Labañino freigelassen wurden und nach Kuba heimkehren konnten – ihre Genossen René González und Fernando González waren bereits zuvor nach Verbüßen ihrer Haftstrafen nach Hause gekommen.

In einem Interview mit der Kuba solidarisch verbundenen Tageszeitung "junge Welt" bekräftigte Alarcón 2006 die Entschlossenheit seines Landes, die Revolution mit den neuen Generationen fortzusetzen: "Wir sind bemüht, unseren Sozialismus stetig zu verbessern. Dieser "Kampf der Ideen", wie er in Kuba heißt, wird in all seinen Programmen und Projekten von Jugendlichen angeführt, die Jugendorganisationen sind führend beteiligt. Sie sind es, die auch gegen die Korruption kämpfen, gegen den Missbrauch der Ressourcen, gegen die bürgerliche Mentalität und kapitalistische Verhaltensweisen, die in den vergangenen Jahren leider wieder aufgekommen sind. Das war nicht vermeidbar, weil wir unter dem Eindruck der Krise kapitalistische Mechanismen teilweise einführen mussten. Aber wir sind uns der Gefahren dieser Entwicklung bewusst. Und die Jugend steht an erster Stelle im Kampf gegen sie."

CUBA LIBRE André Scheer

CUBA LIBRE 3-2022